Giorgio Armani ist tot, in der Mode lebt er aber weiter – davon ist eine
Designerin überzeugt und erklärt, warum Frauen ihre Stöckelschuhe getrost
aussortieren sollten.
Das gesamte Interview, das Mara Michel mit Daniel Hungbaur von der Augsburger Allgemeinen Zeitung und der Main-Post geführt haben finden Sie auch nachstehend.
Frau Michel, Sie sind Geschäftsführerin des Berufsverbandes für Mode und Textil-Design und selbst Designerin. Was bleibt vom in dieser
Woche verstorbenen Designer Giorgio Armani?
Mara Michel: Sehr viel! Denn Armani verstand es wie kein anderer zu spüren, wie wir Frauen, aber auch wie Männer sich kleiden möchten. Mit seinem eleganten, feinnervigen, unglaublich sensiblen Stil, seinen minimalistischen Farben, seinen wunderbaren Stoffen hat er es verstanden, den Geschmack eines Großteils der Menschen in Europa zu treffen. Das ist großartig! Sein Stil ist prägend für ganz viele junge Menschen in der Mode. Das weiß ich, ich unterrichte ja auch an Modeschulen. Und Armanis Stil, seine Modenschauen zeigten stets, dass er nicht nur ein großer Ästhet, sondern vor allem auch ein politisch denkender Mensch war.
Wie meinen Sie das?
Michel: Denken Sie nur an die Krawatten, die er den Frauen in den 90er-Jahren angezogen hat – Julia Roberts beispielsweise trug damals Anzug und Krawatte. Armanis Kleidung hatte damit eine ganz klare Botschaft: Es ist Zeit für Gleichberechtigung! Lasst die Frauen endlich ins Business, lasst die Frauen endlich gleichberechtigt in die Chefetagen, die können das! Und gerade heute, vor dem Hintergrund dieser vielen neuen Machos in Politik und Wirtschaft brauchen Frauen Armanis Krawatten dringender denn je. Armani hat sie in seinen aktuellen Kollektionen auch wieder stark gezeigt, das tat er bewusst. Und er zeigte Frauen auch mit schwarzen Fliegen an einem hohen Kragen, wie gesagt, Armani war ein hoch politischer Mensch. Ich selbst trage nun wieder eine Glitzer-Krawatte in vielen Sitzungen, bewusst als Zeichen. Armani machte im Übrigen auch Schluss mit den Törtchen-Frauen.
Mit wem?
Michel: Mit den Törtchen-Frauen, also den Frauen, die auf Stöckelschuhen umher stolzieren müssen, um Männern als Törtchen zu gefallen. Bei Armani trugen die Frauen in seiner letzten Show flache Schuhe. Ich bin immer wieder entsetzt, wenn ich im Fernsehen sehe, dass Moderatorinnen in engen Hosen oder Röcken und Stöckelschuhen auftreten. Wer zwingt sie nur, diese Schuhe anzuziehen? Die Zeit von Stöckelschuhen, von diesem ganzen Sexy-Gehabe, ist endgültig vorbei, Stöckelschuhe kann man getrost aussortieren
Armani stand vor allem auch für eine zeitlose, wunderbar schlichte Eleganz. Wenn man sich so umguckt, hat man oft den
Eindruck, diese Zeit ist auch vorbei, oder?
Michel: Die kommt aber wieder, davon bin ich überzeugt, Jil Sander hat das ja ebenfalls bewiesen.
Was macht Sie da so sicher?
Michel: Zum einen hilft uns die Migration. Viele Menschen aus südlichen Ländern haben ein inneres Bedürfnis, sich schön zu machen, sich gut zu kleiden. Sie werden mehr und beeinflussen uns. Uns Deutschen ist das leider ein wenig abhanden gekommen, wir haben es uns zu bequem gemacht, bei uns muss alles zu oft in erster Linie zweckmäßig sein. Außerdem gibt es in der Mode vier große Strömungen, die Hoffnung machen.
Welche sind das?
Michel: Die erste Strömung wird von Labels umgesetzt, die auf Armanis minimalistische, sehr reduzierte Eleganz setzen. Die zweite Strömung setzt auf die Natur. Hier können wir uns schon jetzt auf den Sommer 2026 freuen, denn bei diesem Mode-Trend blüht der ganze Körper auf, so viel Blumen haben selten auf Kleidern geblüht. Dieser Strömung ist auch der Nachhaltigkeitsgedanke sehr wichtig. Es ist eine Strömung, die weltweit erfreulicherweise zunimmt.
Und die anderen Strömungen?
Michel: Die dritte Strömung ist global geprägt und will die verschiedenen Kulturen weltweit repräsentieren. Diese Mode zeichnet sich durch eine intensive Farbigkeit aus und hat auch folkloristische Ansätze. Und die vierte Strömung ist die KI, also die künstliche Intelligenz.
Das heißt, KI übernimmt Jobs?
Michel: Nicht unbedingt. Klug eingesetzt, sorgt KI in der Mode dafür, dass wir viel ressourcensparender produzieren können, weil alle Entwürfe an Avataren gezeigt und geprüft werden. Bis eine Kollektion auf dem Markt ist, war es bisher üblich, dass im Vorfeld Unmengen an realen Entwürfen gefertigt wurden, also unglaublich viel Stoff gebraucht wurde, der meist komplett auf dem Müll landete. Das lässt sich mit dem Ziel nachhaltiger Mode nicht vereinbaren.
Aber ist nachhaltige Mode wirklich so angesagt?
Oft hört man, dass es doch vor allem noch immer billig sein muss...
Michel: Aberschauen Sie doch, wie viele junge Menschen sich nur noch vegetarisch oder vegan ernähren und wie viele Restaurants sich darauf eingestellt haben. Vielleicht ist das Essen hier weiter als die Mode. Aber ich bin sicher: Wir werden von der billigen Massenware wegkommen müssen, da gibt es gar keinen anderen Weg. Und die Mode ist immer ein Spiegel der Gesellschaft.
Macht die Modeindustrie da mit?
Michel: Die Modeindustrie noch nicht. Aber es ist leider kaum bekannt, wie viele junge Mode-Startups wir in Deutschland haben. Sie setzen alle auf eine nachhaltige Produktion und wollen hier in Deutschland in kleinen Manufakturen Mode herstellen. Hier helfen wir bei den Gründungen. Sie brauchen allerdings finanzielle Förderungen, anders schaffen sie es nicht. In einigen Bundesländern tut sich hier zum Glück langsam etwas. Diese Mode-Manufakturen müssten aber viel stärker unterstützt werden.
Interview: Daniela Hungbaur